🗣️ Wie wirken sich Studiengangsstrukturen auf das Erleben der Studierbarkeit von Studierenden aus?
#dynamische Evaluation #Studierbarkeit #Curriculumsentwicklung #studentische Partizipation #Motivation
Kathrin Munt
Wie wirken sich Studiengangsstrukturen auf das Erleben der Studierbarkeit eines Studienganges aus? Zur Erhebung und Auswertung studentischer Wahrnehmung der Studierbarkeit ihres Studienganges mit Hilfe partizipativer, qualitativer Evaluationen und deren Nutzen für die Studiengangsplanung und Semesterorganisation.
Im Master Kommunikationsmanagement wurden in drei Kohorten partizipative, qualitative Evaluationen mit Studierenden durchgeführt. Das Evaluationsverfahren „Dynamische Evaluation (DEva)“ basiert auf dem Teaching Analysis PoLL und arbeitet mit spezifischen, anliegenorientierten Fragen (vgl. Frank & Kaduk 2017, Arn 2016). Die Studierenden wechseln innerhalb der dynamischen Evaluation die Rolle von Datengeber*innen zu Datendeuter*innen i. S. einer Partnership in Learning and Teaching (vgl. Cook-Sather, Bovill, Felten 2014).
Die DEva war zunächst als Lehrveranstaltungsevaluation für die Module Vertiefungen und Projekt konzipiert, bis sie aufgrund der Ergebnisse auf den Studiengang ausgeweitet wurde, mit dem Ziel diese für die Reakkreditierung zu nutzen. Es hatte sich gezeigt, dass bestimmte Strukturen bei allen Kohorten einen Einfluss auf die Studierbarkeit des Studiengangs hatten und sich bei den kleineren Kohorten verstärkten. Besonders die emotional gefärbten Aussagen erwiesen sich als Schlüssel für die Erklärung konkreter studentischer Bedarfe. Sie wurden anhand der Selbstbestimmungstheorie von Ryan & Deci nach den drei basalen psychologischen Grundbedürfnissen Selbstwirksamkeit, soziale Zugehörigkeit und Autonomie ausgewertet, die die „Qualität eines motivierten Verhaltens und deren Konsequenz auf das Wohlbefinden und die Leistung von Individuen“ erläutert (Frühwirt, 2020, S.5).
Aufgrund der Daten wurden de-/motivierende und lernförderliche Bausteine im Studiengang identifiziert. Es bestätigte sich, dass bei entsprechender Kohortengröße das Studiengangsdesign für Studierende funktioniert. Sie bewältigen den Wechsel von einem „starren Inputkorsett“ (O-Ton Studierende) in ein freiheitliches Lernen ab dem 2. Semester (Creditpoint Bericht).
Motivierend wirken die Wahlfreiheit, die selbstgesteuerte Arbeitsweise und die herausfordernden praktischen oder wissenschaftlichen Projekte, die zu Leistung und Engagement anspornen. Sie sind aber auch der Grund für Überforderung, die in Abhängigkeit von der Qualität der Betreuung steigt oder sinkt. In dieser kritischen Lernphase sind Lehrende die primären Ansprechpartner*innen. Lernzuwachs, Credits und Benotung werden als ausgewogen und fair wahrgenommen und rechtfertigen den hohen Workload. Gleichzeitig sinkt durch die individuellen Projekte die Vergleichbarkeit. Prüfungsleistungen und Anforderungsniveau scheinen als ob „Doktorarbeiten mit Kurzfilmen“ (O-Ton Studierende) verglichen würden.
Auf die Daten reagierten die beteiligten Lehrenden wohlwollend und zustimmend. In den anschließenden Kurzworkshops wurden die Daten gemeinsam gedeutet und Veränderungsmöglichkeiten ausgelotet (vgl. Arn, Röösli 2017, Kühl 2008). Aus Lehrendensicht sind interessengeleitetes und selbstgesteuertes Arbeiten wünschenswert und entsprechen dem eigenen Arbeitsethos. Aber mit dem hohen Anteil an Wahlfreiheit für die Studierenden sinkt die Planbarkeit für Lehrende. Module finden nicht regelmäßig statt. Sinkende Studierendenzahlen und kleinere Kohorten verschärfen die Situation. Die Betreuung in den Projekten war zeitintensiver als erwartet, ohne angemessene Anrechenbarkeit aufs Deputat. Gegenseitige Appelle, die Erreichbarkeit zu verbessern und die Projektbewertung zu vereinheitlichen, verhallten. Wenn auch naheliegend, ist es fraglich, ob die Schwierigkeiten allein durch mehr Engagement der Lehrenden behoben werden könnten.
Eine Deutung der Didaktik ist, dass die kleineren Kohorten bisher implizite strukturelle Schwachstellen des Studiengangsdesign aufgedeckt haben. Je kleiner die Kohorten, desto weniger Lehrangebot wird gebraucht. Für Lehrende bedeutet dies weniger gesichertes Deputat bei gleichem Vorbereitungsaufwand, dem durch recycelte Projekte begegnet wird. Für Studierende bedeutet dies weniger Wahlfreiheit und interessengeleitetes Lernen und eine Konzentration der Arbeitsaufträge auf weniger Schultern. In den Projekten wird nun nicht mehr nur auf Wunsch allein gearbeitet. Peers stehen in dieser kritischen Lernphase als Sparringspartner*in oder Tröster*in nicht zur Seite. Der Betreuungsaufwand für Lehrende steigt.
Im Kurzworkshop wurde berechnet, wieviel Lehrangebot sich bei welcher Kohortengröße rechnet. Dadurch konnte die neue Kohorte gleich zu Beginn besser auf die Situation vorbereitet werden. Die Inhalte in den Vertiefungen wurden wegen der geringen Wahlmöglichkeiten mit den Studierenden in einer moderierten Lehrveranstaltung mit der Didaktikerin konsensual ermittelt. Momentan werden Ideen geprüft, wie der Vereinsamung in der Projektphase strukturell entgegengewirkt werden kann. Die kontextualisierten Informationen aus der DEva liefern dafür konkrete Ansatzpunkte (vgl. Kuckartz 2008).
Kathrin Munt
Dipl.-Päd., Hochschulfachdidaktikerin
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Braunschweig/Wolfenbüttel
ZeLL- Zentrum für erfolgreiches Lehren und Lernen
Aufgabenschwerpunkte: Lehrhospitation und -Beratung, semesterbegleitende Weiterbildungen, Projektkoordination, Curriculumsentwicklung, alternative (qualitative) Lehrveranstaltungs- und Studiengangsevaluation
k.munt@ostfalia.de
Arn, C. (2016, Oktober 31). Qualität in der Lehre: Thesen und Überlegungen. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.164865
Arn, C., & Röösli, F. (2017). Bürokratische Zielverschiebung: Negativeffekte von Evaluationen theoretisch rekonstruieren und praktisch vermeiden. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 133-151.
Cook-Sather, A., Bovill, C., & Felten, P. (2014). Engaging students as partners in learning and teaching: A guide for faculty. John Wiley & Sons.
Frühwirth, G. (2020). Die Self-Determination Theory nach Deci & Ryan. In: Selbstbestimmt unterrichten dürfen – Kontrolle unterlassen können. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29071-9_2
Kuckartz, U., Dresing, T., Rädiker, S., & Stefer, C. (2008). Warum eine qualitative Evaluation? (pp. 11-14). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Kühl, S. (2008). Das Evaluations-Dilemma der Beratung–Evaluation zwischen Ansprüchen von Lernen und Legitimation. Revue für postheroisches Management, 3, 64-71
Ryan, R. M. (2017). Self-determination theory: Basic psychological needs in motivation, development, and wellness. Guilford Press.